Wegen Streik keine Haftung.

Das gesetzlich verbriefte Streikrecht stellte 2014 sowohl die verladende als auch die logistische Wirtschaft mehrfach vor große Herausforderungen. Denn – ob auf der Schiene oder in der Luft – die Folgeschäden durch streikbedingte Logistikkettenstörungen können immens sein. Allein im November 2014 entstand der Wirtschaft durch den Streik der GDL, nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (IHK), ein Schaden von mehr als 500 Millionen Euro. Zur Behandlung dieser akuten wirtschaftlichen Streiksymptome stellt sich die Frage: Wer zahlt und kommt für die Folgeschäden des Streiks auf?

Nach herrschender Meinung haftet der Logistikdienstleister, von wenigen Ausnahmen abgesehen, grundsätzlich nicht für Schäden aus einem rechtmäßigen Streik. Das gilt unabhängig davon, ob sich diese als Güter- oder Verspätungsschäden darstellen. Dies ergibt sich aus dem Zusammenspiel der transportrechtlichen Haftungsnormen (§§ 425 ff. HGB, Artikel 18 ff. MÜ für internationalen Lufttransport und Artikel 33 CIM für internationalen Eisenbahnverkehr) in Kombination mit dem entscheidenden Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz
(Streikrecht). Eine Haftung des bestreikten Arbeitgebers für streikbedingte Lieferverzögerungen würde zu einer massiven Verschiebung des Kräftegleichgewichts zu Gunsten der Gewerkschaft führen (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26.06.1991 – Az. 1 BvR 779/ 85 – NJW 1991, 2549; Beschluss vom 26.03.2014 – Az. 1 BvR 3185/09).


Bei rein streikbedingten Lieferbeeinträchtigungen lohnt sich für betroffene Auftraggeber folglich eine gerichtliche Inanspruchnahme des Transportlogistikers nur selten, von Klagen ist aufgrund des hohen Prozess- und Kostenrisikos in der Regel abzuraten. Für viele betroffene verladende Unternehmen wird daher am Ende nur die Erkenntnis stehen, dass das Hinnehmen des eigenen Schadens der Preis für das verfassungsmäßig verbriefte
Streikrecht ist. Interessant gestaltet sich die Lage jedoch bei den Ausnahmefällen. Diese bestehen insbesondere dann, wenn der Transportlogistiker während eines Tarifkonfliktes nicht alles getan hat, um Schäden für seine Kunden zu vermeiden. Er ist in jedem Fall verpflichtet, auf Streikankündigungen rechtzeitig mit den erforderlichen Ausweichmaßnahmen zu reagieren und bspw. Touren umzudisponieren oder Dritte zu beauftragen.

Der Logistiker muss außerdem im Rahmen des Möglichen besonders schadenskritische Transporte priorisiert
durchführen und die Grundversorgung sichern. Dabei hat er ein gewisses Auswahlermessen dann, wenn eben nicht alle Schäden vermieden werden können. Darüber hinaus haftet der Transportlogistiker außerhalb der Obhut für Verschulden. So muss er zum Beispiel bei Auftragsannahme die Durchführbarkeit des Transportes aufgrund des Streikes berücksichtigen. Hier stellt sich auch die Frage des Mitverschuldens des Auftraggebers
durch Übergabe zum Transport in Kenntnis der Streiklage.

Der Logistiker muss im Zweifel den Beweis dafür erbringen, dass er alles getan hat, um Schäden für bereits erteilte Aufträge seiner Kunden zu vermeiden. Hier ist anzuraten, eine systematische Vorgehensweise für die Auswahl und Verlagerung der durchzuführenden Transporte im Streikfall zu erarbeiten, zu dokumentieren und über interne Schulungen zu kommunizieren. Dies kann auch durch einen (externen) Beauftragten oder Berater begleitet
und abgesichert werden.

Bei neuen Aufträgen während der Streikphase kann eine – im Ausnahmefall denkbare – Haftung durch die Vereinbarung von spezifischen Freizeichnungsklauseln eingeschränkt werden. Statt eines fixen Anlieferzeitpunktes wird, nach dem Vorbild der Vereinbarungen im Bereich des Seehandels, lediglich eine geschätzte
Ankunftszeit („estimated time of arrival due to strike“ – ETA-Strike) vereinbart. Auch durch einen entsprechenden Risikohinweis auf mögliche streikbedingte Ablaufstörungen kann die Haftung des Logistikers eingeschränkt werden.

Generell gilt der Grundsatz: „Nach dem Streik ist vor dem Streik“. Klug ist daher, wer aus den Streikerfahrungen in 2014, ganz nach dem Prinzip der Lessons Learned, die richtigen Konsequenzen für den zukünftigen Umgang mit Streiklagen zieht und Ursachen für streikbedingte Schieflagen bekämpft. Obgleich wirtschaftliche Schäden nicht gänzlich ausgeschlossen werden können – so können sie durch einen proaktiven Umgang (Notfallpläne, Freizeichnungsklauseln,…) erheblich gemindert werden.

Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz
Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.