Streiks in der Transportlogistik:

Streiks in der Transportlogistik. Schadensersatz oder nicht am Beispiel Lufthansa Cargo AG

Auswirkungen des deutschen Streikrechts auf das transportlogistische Haftungs- und Schadensersatzrecht von Karl-Heinz Gimmler

Streikbedingte Folgen können durch einen proaktiven Umgang – wie beispielsweise im aktuellen Fall der Lufthansa Cargo AG – zwar erheblich gemindert, jedoch in der Regel nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Es stellt sich die Frage: Wer zahlt und kommt für die Folgeschäden der verladenden Wirtschaft auf? Um das juristische Ergebnis vorweg zu nehmen: Der Transportlogistiker haftet, von wenigen Ausnahmen abgesehen, grundsätzlich nicht für Schäden, insbesondere Verspätungsschäden aus einem rechtmäßigen Streik. Für viele betroffene Auftraggeber-Unternehmen wird daher am Ende nur die Erkenntnis stehen, dass das Zahlen des eigenen Schadens der Preis ist, der für das verfassungsmäßig verbriefte Streikrecht zu zahlen ist.

Dieses Ergebnis mag verwundern, bedenkt man den strengen Haftungsmaßstab, den das deutsche Transportrecht jedem Frachtführer in Form der verschuldensunabhängigen Obhutshaftung aufgibt.Dies gilt im Falle von Lufttransporten z. B. für den – weniger bedeutenden – innerdeutschen Lufttransport. Jedoch ist der Maßstab für das internationale Transportrecht, exemplarisch nach Art. 18 Montrealer Übereinkommen über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (MÜ) noch drastischer. Dort gilt bereits die bloße Kausalität im Zusammenhang mit dem Luftverkehr als ausreichend. Damit gilt im Grunde die Frage nach der Unvermeidbarkeit. Auf Verschulden, also Vorsatz oder Fahrlässigkeit kommt es hingegen nicht an. Auch das bloße Vorliegen von „höherer Gewalt“, z. B. durch Streik, entlastet für sich allein genommen den Luftfrachtführer nicht.

Auch hier kann durchaus Vermeidbarkeit vorliegen. Im weniger bedeutenden, nationalen Lufttransport könnte man sogar argumentieren, dass das betroffene Transportunternehmen für Verspätungsschäden nicht nur auf das dreifache der Fracht (gemäß § 431 Abs. 3 HGB) haftet, sondern sogar unbeschränkt. Schließlich geht es ja vorsätzlich nicht auf die Forderungen der Gewerkschaft ein und führt somit den Streik und daraus resultierende Schäden vorsätzlich herbei. Dann würde § 435 Handelsgesetzbuch (HGB) die betroffenen Unternehmen auf den Wegfall der Haftungsgrenzen hoffen lassen.

Im internationalen Lufttransport ist dies ausgeschlossen, weil jedenfalls nur bis zu 19 SZR je Kilogramm
Rohgewicht der Sendung als Haftungsgrenze gehaftet werden würde, Art. 22 MÜ. Zur Beurteilung der Rechtslage greift das Transportrecht, auch das internationale Transportrecht, allein jedoch zu kurz.
Die Lösung ergibt sich erst aus dem Zusammenspiel der transportrechtlichen Haftungsnormen der §§
425, 426 und 431 HGB bzw. Art. 18 MÜ mit dem entscheidenden Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG). Dieser beinhaltet die sogenannte arbeitsrechtliche Koalitionsfreiheit – und damit auch das Arbeitskampfrecht.

Natürlich könnte der betroffene Logistikarbeitgeber, z. B. hier die Lufthansa Cargo AG, jeden streikbedingten Schaden durch bloßes Nachgeben vermeiden. Dies gilt im Übrigen auch für die Gewerkschaft. Aber genau hier greift die verfassungsrechtliche Wirkung des Art. 9 Abs. 3 GG. Dieser sichert nicht nur der Arbeitnehmerseite das Recht auf einen Arbeitskampf zu, sondern eben auch dem Arbeitgeber. Dieser Grundgesetzartikel wird von der relevanten Rechtsprechung als eine der wenigen Grundrechtsnormen mit unmittelbar vertrags- und haftungsrechtlicher Auswirkung ausgelegt. Damit ist das Verhalten des Arbeitgebers in einem Arbeitskampf schlicht rechtmäßig. Der Druck auf die Arbeitgeberseite soll über den Umsatzausfall durch die streikbedingte reduzierte Leistungserbringung erfolgen und nicht über zusätzliche Haftungsansprüche für unmittelbare und mittelbare Schäden in anderen Unternehmen. Durch diesen Haftungsausschluss bezüglich rein streikbedingter Schäden kann schließlich eine „Waffengleichheit“ der Tarifparteien gewährleistet und damit eine überproportionale Erpressbarkeit des Arbeitgebers ausgeschlossen werden.

Dies gilt jedenfalls für das innerstaatliche Transportrecht des HGB, auch im Fall des Lufttransports. Gilt dies aber auch für den Bereich des internationalen Transportabkommens, z. B. des MÜ? Im Falle, dass deutsches Recht Anwendung findet, handelt es sich um ein von den Gerichten angewendetes deutsches Zivilrechtsgesetz, welches verfassungskonform auszulegen ist und demzufolge auch die deutsche Verfassungsrechtslage zu beachten hat – Pointiert kann man sagen: „Arbeitskampfrecht bricht Transporthaftungsrecht“. Hier gilt entgegen der Auffassung einiger Autoren der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung des nationalen Zivilrechts – Art. 18 MÜ ist eben im Lichte des Grundgesetzes auszulegen.

Es handelt sich insoweit eben um ein einfaches Gesetz auf dem Gebiet des Zivilrechts und dieses geht dem Grundgesetz eben nicht vor. Dies ist zwar für das internationale Lufttransportrecht nicht ganz unstreitig, jedoch haben ausländische Gerichte bereits für ihre Länder in diese Richtung entschieden.

Bleibt die Frage, ob damit grundsätzlich jedweder Haftungsanspruch gegen betroffene Logistikdienstleister für streikbedingte Schäden auszuschließen ist. Dies ist zu verneinen. Wie ist es z. B. aber bei unverhältnismäßigem Streikverhalten? Denn der Dienstleister muss während des Tarifkonfliktes alles tun, um Schäden für Kunden zu vermeiden. Er muss beispielsweise im Rahmen des Möglichen besonders schadenskritische Transporte durchführen, soweit ihm dies bekannt ist. Dabei hat das Logistikunternehmen ein gewisses Auswahlermessen dann, wenn eben nicht alle Schäden vermieden werden können und trägt hierfür auch die Beweislast.

Außerhalb der Obhut haftet der Logistikdienstleister nur für Verschulden. So muss er zum Beispiel bei Auftragsannahme die Durchführbarkeit des Auftrages aufgrund des Streikes berücksichtigen. Hier stellt sich auch die Frage des Mitverschuldens des Auftraggebers durch Auftragserteilung in Kenntnis der Streiklage. Übrigens ist es hier natürlich für den Logistiker möglich, durch standardmäßige Klauseln bei Auftragsannahme wie „Hinweis auf mögliche streikbedingte Ablaufstörungen“ eine im Ausnahmefall denkbare Haftung weiter einzuschränken. Damit ist nämlich eine zulässige Leistungseinschränkung mit der Folge der mittelbaren Haftungseinschränkung verbunden.

Das alte Motto „außer Spesen nichts gewesen“ gilt auch hier: Auftraggeber tuen gut daran, sich vor einem vorschnellen Prozessieren die Risiken klar zu machen. Im Zweifel muss ein vorsichtiger, seriöser Anwalt insbesondere auf diese Risiken hinweisen und, wie häufig, von einer Klage abraten – klagen ist eben nicht immer die beste Lösung.
Rechtsanwalt Karl-Heinz Gimmler, Fachanwalt für Steuer-, Transport- und Speditionsrecht

Artikel 9 GG
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich
gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten,
sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen
zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken
oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen
nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen
Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von
Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.